Galerie Hubert Winter

Power Napping
Francesco Stocchi — in: Husslein-Arco, Agnes und Antonella Mei-Pochtler, Luisa Ziaja (Hrsg.) BostonConsulting & BelvedereContemporary Art Award 2015, S. 55-56. 2015

F: Warum haben Sie ihn nicht größer gemacht, sodass er den betrachter überragt?

A: Ich habe kein Munument gemacht.

F: Warum haben Sie ihn dann nicht kleiner gemacht, sodass der Betrachter darüber hinwegsehen kann?

A: Ich habe kein Objekt gemacht.(1)

Sarah Pichlkostners Werk lässt sich als Erkundung der Möglichkeiten und Grenzen der Skulptur als Katalysationstruktur begreifen: der Struktur als Objekt. Die “skulpturalen Objekte” der Künstlerin sind als solche nicht funktional und weisen nicht unbedingt die üblichen Multiplizitätsmermale von Objekten auf. Die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt verwischend, aktivieren sie den Raum, in dem sie sich befinden, suggerieren ein dreieiniges System von Raum, Objekt und Betrachter. Ein Raum in Raum wird geschaffen, eine personalisierte Raumerfahrung vorgeschlagen.

In Sarah Pichlkostner künstlerischer Praxis geht es vor allem um Dualität, um die Spannung, die entsteht, wenn Gegensätze in einen Dialog gebracht werden. Mit ihren immateriellen Möglichkeiten konfrontiert, erkundet sie intrinsische Materialqualitäten: die Skulptur als Konstituente eines negativen Raums, von Sichtbarkeit und Transparenz; die Skulptur als ein aus einem Material und seiner Formbarkeit erzeugtes Objekt (und die damit verbundenen Funktionen). Wird ein Material auf ein Objekt angewandt, dessen Funktion sich mit der Zeit verändert, so spiegelt dieses Objekt letztlich uns selbst. Die Künstlerin befasst sich also mit dem Doppelsinn von Sichtbarkeit: dem Kontrast zwischen der Sichtbarkeit und Transparenz von Objekten einerseits und deren sekundärer Sichtbarkeit in Gespräch und Interaktion.

In ihrer Auseinandersetzung mit Skulptur erkundet Pichlkostner die Oberfläche als Materialisation der Form und – durch die Arbeit mit dem negativen Raum als Baumaterial – als Abwesenheit der eigentlichen Form. Notwendig wird das Verhältnis zwischen einer Oberfläche und ihrem Volumen, zwischen Negativ und Positiv, um die passiven Beziehungen Objekt/Raum und Objekt/Subjekt zu überwinden. Wie beeinflusst das Subjekt das Objekt, und wie lässt sich dieser Effekt sicht- und lesbar machen? Durch die Thematisierung der Leere, die Erkundung des negativen Raums, verweist uns Pichlkostner auf die vertrackte, mehrdeutige Natur des Raums. Wie kann man das Verhältnis zwischen Objekt und umgebendem Raum bestimmen? Wie ein Objekt verorten? Wo beginnt es, und wo endet es? Eine mögliche Antwort lautet, dass die Grenzen eines Objekts mit den Grenzen seiner materiellen Form, also seinen konkreten Maßen, zusammenfallen. Die Oberfläche eines Objekts ist eine materielle Begrenzung und ein räumlicher Einschnitt – das Objekt nimmt einen bestimmten Platz ein, aber seine Oberfläche bestimmt, was ist und was nicht. Dennoch bleibt die Frage: Kann es (je) eine befriedigende oder schlüssige Antwort – eine Lösung – geben? Die jeweilige Manifestation eines Objekts kann lediglich eine Folge von Wahrnehmbarkeit, Produktion, Präsentation, sozialem Verhalten, Zeitrahmen, Licht sein … sprich: von den Faktoren und Bedingungen, die Künstler und Objekt gleichermaßen betreffen.

In Sarah Pichlkostners minimalistischer Herangehensweise an den Raum bilden die Festkörper die physische Grenze und sind die Zwischenräume mehr als bloße Momente der Leere. Die Konstruktion eines (neuen) Raums vollendet das Kunstwerk, es ist ein Akt, der sich mit jeder neuen Konfiguration wiederholt. Die Entwicklung in der Zeit, das Wiederauftreten von Verschiebungen und Adaptionen, wirft nicht nur Fragen (und innere Zweifel) über die Möglichkeiten des Kunstwerks auf, seine Wandelbarkeit und seine Bindung an wechselnde Umstände. Bedroht sind auch die Beständigkeit des Objekts und die Identität des Kunstwerks. Im Einklang mit Pichlkostners diplomatischem Umgang mit Gegensätzen folgt ihr Werk meist einem binären Code. Anders als Gemälde und traditionelle Skulpturen, deren Status gleich bleibt, ob sie nun gezeigt werden oder im Depot stehen, sind Piichlkostners Skulpturen gleichzeitig da und nicht da. Sind sie verbogen, verlieren die Arbeiten ihre Eigenheiten: Auf bloßes Material reduziert, verfallen sie in einen “Ruhezusand”. Dieser scheinbare Mangel an Immanenz macht das Kunstwerk zum sozialen Akteur, verleiht ihm Charakter (und eine andere Sichtbarkeit) durch Gespräch und Interaktion. Oder aber ist es eine totale Immanenz? Nur in seinem dynamischen Zustand, im Umschlagen zwischen Sein und Nichtsein. Die Materialien, aus denen Pichlkostners Arbeiten bestehen, folgen einer inneren Prozesslogik, entstehenden Zuständen und Bedingungen.

Make your self more comfortable (2015) besteht aus Sand, Glas, mit Sand vermischtem Gips und Flüssiglatex. Eine Reihe aufeinander bezogener grades: einen Eigenkosmos, in dem multiple Zustände in einem aus dem Inneren kommenden Zeitkurzschluss nebeneinander existieren. Verschiedene Entwicklungsstadien resümierend, liegt das Werk in einer permanenten Gegenwart. Heißt das, dass das Objekt nie abgeschlossen ist? Vermittelt dieses geschlossene System den Betrachtenden ein Gefühl von Intimität, in dem sie sich wohler, komfortabler fühlen? Was sich zwischen diesen verschiedenen Zuständen abspielt, zeigt sich, wenn die Arbeit, den Raum, erfasst: wie alle Elemente verbunden sind, wie sie zueinander stehen, wie sie von den menschlichen Sinnen wahrgenommen werden.

Bei ihren Experimenten mit dem historischen Erbe des Minimalismus und seiner Ideologien greift Sarah Pichlkostner auf eine eng mit der Tradition der modernen Skultpur verbundene Materialpalette zurück: Gips, Beton, Eisen, Glas. Trotz ihrer Strenge und ihrer Materialität strahlen die arbeiten eine gewisse Mobilität aus, zielen auf multiple Realitäten und fortlaufende, mögliche Lösungen, Möglichkeiten als im Entstehen begriffene Antworten.

1 Tony Smith beantwortet Fragen zu seinem Sechs-Fuß-Stahlkubus. Aus: Robert Morris, “Notes on Sculpture (Part II)”, in Artforum, Oktober 1966, deutsch in Charles Harrison/Paul Wood (Hg.), Kunsstheorie im 20. Jahrhundert. Künstlerschriften, Kunstkritik, Kunstphilosophie, Manifeste, Statements, Interviews, Bd. II, Ostfildern-Ruit 2003, S. 105-108.