Galerie Hubert Winter

Klaus Dieter Zimmer
1. – 24. Dezember 1999
... denn es ist wahr, dass das alleingültige Zeichen, das sich selbst genügt,
eine Beschreibung überflüssig macht, die nur durch seinen Zwang entstand.
aus: Pierre Klossowski. Die Gesetze der Gastfreundschaft (Nachwort, der letzte Satz), 1956. Dt. v. Sigrid v. Massenbach.

Gesten eines Malers - einige Überlegungen zu Klaus Dieter Zimmer
Christian Muhr

"Das Bild beginnt mit der Auswahl der Leinwand" sagt der Maler Klaus Dieter Zimmer und bestimmt damit nicht nur seine Praxis der Malerei, sondern auch seine Theorie des Bildes. Die Geschichte des Bildes ist beschrieben worden als eine Geschichte von Ortswechseln, eigentlich mehr Topographie denn Historie. So unterschiedlich diese Bildgeschichten auch verlaufen, sie zeigen, wie das Bild in der Moderne seinen Ort ändert um zunehmend jenseits der Leinwand sichtbar zu werden: als Architektur, als Objekt, als Text, als Fotografie, als Pixel. Wenn der Maler Klaus Dieter Zimmer für das Bild wieder eine Leinwand aussucht, so scheint er auf den ersten Blick kein moderner Maler zu sein.

Um genauer zu sehen, rät Vilem Flusser die "Geste des Malens" zu beobachten, also das, was der Maler in Hinblick auf sein Gemälde tut. Bei Klaus Dieter Zimmer sind zwei Gesten zu unterscheiden, die des Tastens und die des Färbens, Damit trennt er zunächst die beiden Erfahrungen, deren Verhältnis ihn interessiert, nämlich die des Taktilen und die des Visuellen. Mit langstieligen Pinseln die sparsam in schwarze Tusche getaucht sind, tastet der Maler die Textur der Leinwand ab. Er markiert dabei die Orte der Berührung von Pinsel und erhabener Leinwand als Spuren, die ein erstes Bild der Leinwand ergeben. Der künstlich verlängerte Pinsel schafft dabei mehrfache Distanz: einmal zeigt sich die Fragilität des Tastens deutlicher in der Mittelbarkeit des vergrößerten Maßstabs. Zudem dehnt sich der Abstand zum Körper des Malers und verringert dadurch seinen Einfluß auf das Bild, ohne ihn jedoch zu leugnen. Letzlich sucht der Maler damit Entfernung vom eigenen Psychischen und somit das Gegenteil zum Topos der Unmittelbarkeit des psychischen Ausdrucks, der von Kandinsky bis Pollock eine wesentliche Legitimierung abstrakter Malerei bildet.
(In der Langstieligkeit der Instrumente trifft sich der Maler Klaus Dieter Zimmer übrigens mit wichtigen Kollegen wie David Reed oder Joseph Marioni.)

Gegenüber dieser seismo-graphischen Praxis des Tastens dominieren in der Geste des Färbens Farbe und Fläche als die klassischen Elemente der Malerei. Klaus Dieter Zimmer verwendet hochtransparente Farben, die in die Horizontale und Vertikale des Gewebes expandieren. Damit entsteht kein Bild auf der Leinwand, sondern ein Bild der Leinwand als, vielleicht auch nur minimal, plastischem Körper. Mit den verschiedenen Farbbahnen belegt der Maler die flacheren Partien der Leinwand und untersucht deren Verhältnis zu den bereits mit Tusche beschrifteten Teilen. Er visualisiert in diesem Prozeß die Textur des Materials und realisiert zugleich das Bild der Leinwand. Dieses Bild ist kein Abbild im Sinne einer naturalistischen Kopie sondern die genaue Komposition eines Gemäldes aus dem Potential seiner Grundstoffe.
Die "Geste des Malens" ist nicht eindeutig: vielmehr spricht sie von vielem zugleich, so von den Synästhesien der Sinne oder von der Spannung zwischen dem Material und seinen Erscheinungsweisen. In der Geste des Tastens erfährt das Auge von den Mustern der Leinwand nur über die Irritation der Hand; gerade weil der Maler das Raster der Leinwand aus Zufall, aus Laune, aus Gefallen verletzt, wird es sichtbar. Die Unregelmäßigkeit der Handschrift des Malers beschreibt die Regelmäßigkeit des Gewebes auf dem er schreibt und umgekehrt. Die Geste des Färbens macht unsichtbar, denn die Farbe planiert die rauhe Körnung der Leinwand im glatten Ebenbild der Farbe. Das Schwarz der Tusche ertränkt die übrige Farbe genau um dieses Ertränken zu zeigen - in den Spuren, die sich dem Schwarz widersetzen. Die Reinheit der Farben wird leuchtend in der Umgebung von matteren Schattierungen der Farbschichten, wobei die Leuchtkraft der Farben das Material stellenweise zu verwandeln scheint: vom Naturstoff Leinwand zum Kunststoff Zelluloid. Das Bild der Leinwand erscheint als eine Art Palimpsest, das die Grade seiner Transparenz erkennen läßt, als Schichten in der Tiefe der Fläche der Leinwand. Die Malerei macht unberührbar, denn sie setzt das Bild des Materials an die Stelle der Begegnung zwischen der Haut der Leinwand und der Haut des Tastenden. Oder anders gesehen: das Bild von der Berührung rückt an den Ort der realen Berührung und etabliert dort die Konvention des Tastverbotes.
Für den Maler Klaus Dieter Zimmer ist das Ornament nichts Verbrecherisches, nichts Degeneriertes sondern etwas Grundlegendes. Letzteres behauptet auch der Verächter des Ornements, wenn er das erste Kunstwerk mit dem Ornament des Kreuzes identifiziert, das als Zeichnung das erotische Gewebe von Mann und Frau darstellt. Schon vor Adolf Loos war es Gottfried Semper, der das Kreuz quasi textil als Knoten gelesen hatte, um von dort aus alle linearen Ornamente auf die Techniken des Flechtens und Webens zurückzuführen und die textile Kunst als "Urkunst" anzunehmen. In seiner großangelegten Vergleichsgeschichte der Kunstformen "Der Stil…" formuliert er das "erste Axiom der Kunstpraxis" als die Maxime "aus der Noth eine Tugend zu machen" in der er das gleichsam ökonomische Gestaltungsprinzip des Ornaments erkennt. Klaus Dieter Zimmer läßt sich von Semper inspirieren, wenn er die Leinwand als "ornamentales Geflecht" versteht und eine " Ästhetik der Ökonomie in der Praxis der Malerei" entwirft. Er teilt damit die Kritik am Ornament in seiner verdeckenden Funktion, mit der es "das nicht Erwünschte verhüllte" (Joseph Rykwert). Klaus Dieter Zimmer bezieht sich daher auf das Ornament, das sich aus den "Sprachen des Materials" (Walter Benjamin) ableitet, diese formuliert und nicht kaschiert. Ein Beispiel dafür findet Klaus Dieter Zimmer in der Fachwerkarchitektur seiner Kindheitsumgebung. Dort sieht er eine architektonische Praxis angewendet, die das statisch und ökonomisch Notwendige nicht verhüllt sondern offenlegt. Das Fachwerk, welches er auch als ornamentales, abstraktes Bild betrachtet, ist Konstruktion und nicht Dekoration der Architektur. So bleibt Architektur in seinen Bildern doppelt präsent: als Ausdruck einer ästhetischen und ethischen Haltung und als die Architektur des eigentlichen Bildes, die sich der Textur der Leinwand verdankt.
Mit der Rede von "Archi/texturen" (Eva Meyer) im Umkreis von Jacques Derrida ist das Ornament und vor allem das Gewebe längst zum semantischen Modell nobilitiert worden, um allerdings mehr metaphorisch den analytisch Anwendung zu finden.

Seit Platon favorisiert die Philosophie die Form gegenüber dem Stoff woraus sie jeweils gemacht ist. Dementsprechend gibt es auch in der Kunstgeschichte lange Zeit nur die Geschichte der Stile und keine der Materialien. Nachdem die Moderne auch beschrieben werden kann als eine Geschichte der Auflösung von Formen, ist es nicht überraschend, daß die Materialien längst zu ihrem Recht gekommen sind. Sogar mehr als das: In manchen Fällen wird an der Oberfläche des Materials jene Bedeutung sehnsüchtig abgelesen, die sonst überall verschwunden ist.
Es gibt eine Rückkehr zum Material als scheinbar letzter Bastion des Authentischen, des Sinnhaften oder umgekehrt, als einem Garanten des Modernen, wie es sich etwa in der Forderung nach Verwendung "moderner Materialien" kundtut. Wird dabei übersehen, daß das Material nicht von selbst spricht, sondern durch künstlerische Formulierungen zum Sprechen gebracht werden muß, ist diese Rückkehr bloße Regression vor den Stand der Moderne.
Die Arbeit von Klaus Dieter Zimmer ist Arbeit am Material der Malerei. In seinen Bildern zeigt er die "Geste des Malens" und die "Sprachen des Materials" indem er beidem seine Form gibt. Allein das zu sehen, heißt zu sehen wie modern er ist.

Auszug aus der im Sonderzahl-Verlag erschienenen Monographie "Non Opaque Paintings" zu Klaus Dieter Zimmer.
© beim Autor und Sonderzahl-Verlag.

  • Review: FAZ, 14.12.1999 (PDF)