Galerie Hubert Winter

Nil Yalter
20. Mai – 25. Juni 2016
Früher einmal war die ganze Straße voll mit Cafés, Kinos, Reparaturwerkstätten, deren Reklameschilder noch zu erkennen sind. Eines von ihnen leuchtet wie ein wachsames Nachtlicht, umsonst.
Die letzten Zeilen. In: Patrick Modiano, Aus tiefstem Vergessen. Dt. von E. Edl. München, Hanser, 2000.

STIMMUNG wurde am 9. Dezember 1968 im Maison de la Radio Paris uraufgeführt. Bei der Uraufführung war Max Ernst im Publikum. Die Partitur entstand im Februar und März 1968 in einem Haus am Long Island Sound in Madison, Connecticut (USA), wo Karlheinz Stockhausen mit seiner damaligen Frau Mary Bauermeister und ihren zwei Kindern lebte. STIMMUNG entwickelt eine ganz neue Vokaltechnik mit bestimmten Obertönen, der Text besteht aus magischen Namen. Eine Wanderung durch Klangwelten.

"Gewiss ist STIMMUNG meditative Musik. Die Zeit ist aufgehoben. Man horcht ins Innere des Klanges, ins Innere des Harmonischen Spektrums, ins Innere eines Vokales, INS INNERE. Feinste Schiebungen - kaum Ausbrüche - alle Sinne sind wach und ruhig. In der Schönheit des Sinnlichen leuchtet die Schönheit des Ewigen." (Karlheinz Stockhausen)

Zum ersten Mal ist die komplette Serie D’APRES "STIMMUNG" (1973) von Nil Yalter in der Galerie Hubert Winter zu sehen. Entstanden unmittelbar nach einer Aufführung des Werks im Jahr 1973 in Paris. Yalters außergewöhnlicher Zugang der Zergliederung und Neuzusammensetzung wesentlicher Inhalte findet sich einmal mehr in der 25-teiligen Arbeit wieder, basierend auf Stockhausens Klangwerk. Es entstehen Assemblagen von außerordentlicher Sensibilität, geschichtliche Fakten werden poetisch aufgearbeitet. Götternamen aus allen Kulturen transportieren unser überliefertes Erbe. Frei nach Feuerbach und Marx zitiert Yalter auf einem der Panele: „CE N’EST PAS LA RELIGION QUI FAIT L’HOMME, MAIS C’EST L’HOMME QUI FAIT LA RELIGION“.
Die Suche nach Identität im 20. Jahrhundert kann nicht mehr durch Religion erreicht werden. Nil Yalter eröffnet durch ihren transkulturellen Ansatz, Imagination, Erinnerung und Verlust ein Diskussionsfeld, das sie durch immer wiederkehrende Inhalte von Soziologie und Migration selbst zu einer Nomadin werden lässt.

1965 nach Paris gekommen entstehen wenige Jahre später geometrisch abstrakte Leinwandarbeiten, inspiriert von architektonischen Formen. Klare Linien und Formen geben ihre eigene Vision einer Synthese zwischen West und Ost wieder.

Das Video Les rites circulaires (Circular rituals) entstand 1992 für das internationale Multimedia-Projekt “Trans-Voices: French and American Artists Address a Changing World Order“. Produziert vom American Center Paris, dem Whitney Museum of American Art und dem Public Art Fund wurden die einzelnen Arbeiten zu Botschaften der politischen und sozialen Veränderungen am Ende des 20. Jahrhunderts im öffentlichen Raum.
Nil Yalter verbindet Szenen demonstrierender algerischer Frauen mit Aufnahmen illegaler Arbeiterinnen in Paris und überlagert diese mit digitalen kalligrafisch anmutenden Montagen ihrer Malerei. Ein Kaleidoskop aus Bildern und Ton begleitet von einem Selbstportrait in Textform, beinhaltet die gesamte Palette ihres künstlerischen Interesses: Poesie, Soziologie, Migration, Anthropologie und Ethnologie und die kritische Verortung dieser Begriffe in ihrem Oeuvre.

Nil Yalter (*1938 in Kairo, Ägypten) lebt und arbeitet in Paris.