Galerie Hubert Winter

Judith Fegerl
solar
8. Oktober – 23. Dezember 2021
Das Papier war fettig! Gräßlich. – Ich kenne vorzügliche
Menschen. Sie sind mir auch gut und lieben
mich zu sehr, wie einen Fels, wie Wolkengebilde und
sturmbewegte Wolken, u.d.g. Keiner herbergt den
Menschen in mir; wo sie doch alle untertreten! Dies
ist die Wahrheit. –
Die letzten Zeilen. In: Briefwechsel zwischen Rahel (Varnhagen
von Ense) und David Veit. Leipzig, Brockhaus, 1861

Die Galerie Hubert Winter freut sich solar, eine Einzelausstellung von Judith Fegerl (geboren 1977, lebt und arbeitet in Wien) zu präsentieren. solar ist die abschließende in einer Serie dreier Ausstellungen, nach Injury von James Lewis und Escape From Source von Joel Fisher, zur Rolle und Erkundung von Materialität im künstlerischen Schaffen und deren skulpturales Potential.

In Judith Fegerls Arbeit wird Energie, meistens in elektrischer Form, zur bildschaffenden Kraft. Technische Materialien werden transformativen Prozessen unterworfen, deren Auswirkungen sich Schicht für Schicht in der Struktur oder auf den Oberflächen der dabei entstehenden Skulpturen und Installationen einschreiben. Auffällig dabei ist auch die Langsamkeit der Prozesse: Die Dynamik physikalischer Abläufe wird auf ein Minimum reduziert, wodurch sich erst die Spuren der Transformationen manifestieren. Judith Fegerls Blick auf die Dinge ist ein genauer, ein forschender, die Expressivität ihrer Arbeiten entspringt eher der Zufälligkeit physikalischer und chemischer Prozesse, nicht der Geschwindigkeit eines Gestus. Objekte werden dabei nicht nur materiell transformiert, sondern durchlaufen auch einen metonymischen Vorgang, der sie poetisch auflädt.

Von deutlichen Gebrauchsspuren der Stromerzeugung gezeichnete Solarpaneele bilden die materielle Grundlage für Judith Fegerls große Wandskulptur Last Light (2021). Paneele unterschiedlicher Architektur, Oberflächen und verschiedenen Materials werden patchwork-artig zur Skulptur zusammengeschlossen. Ihrer typischen Daseinsweise entrissen, trotzdem funktional, produzieren die Paneele immer noch Strom, der in den photovoltaischen Zellen als Potential zirkuliert. Durch die Entkoppelung vom unmittelbaren Nutzen tritt die Materialität der Solarpaneele hervor: die Textur des polykristallinen Siliziums bildet eine zwischen unterschiedlichen schillernden Blautönen changierende Oberfläche.

Die Serie ppcb [printed printed circuit boards] (2021) ist ein paradigmatisches Beispiel für Judith Fegerls Technopoetik. PCBs, so genannte Printed Circuit Boards, bilden die grundlegenden Bausteine der Architektur von Computern—Leiterplatten, die in einem photochemischen Verfahren mit Kupferleitungen bedruckt werden. In einem rekursiven Schritt, verwendet Judith Fegerl diese Leiterplatten selbst als Druckplatten – Printed Circuit Boards werden zu printed printed circuit boards. Durch deren modulare Anordnung entstehen Drucke, in denen die Beschaffenheit der Leiterplatten in eine sinnliche Haptik des Kupferstichs überführt wird, die wiederum formal mit Last Light in Resonanz treten.

Solarstrom speist wiederum eine elektrochemische Reaktion und bildet sich in Series of Electric Shocks (2021) selbst ab. Dabei kommt es Molekül für Molekül zu Kupferablagerungen und Schichtbildungen auf Edelstahlplatten, deren Auftrag einen expressiven, malerischen Charakter evoziert. Es eröffnet sich eine Analogie zum malerischen Prozess: so wie dieser oftmals mit den Lichtbedingungen z.B. im Atelier im Zusammenhang steht, ist auch diese Bildwerdung abhängig davon.

Judith Fegerls Ausstellung solar provoziert eine Reflexion über die Verfügbarkeit und den Umgang von Energie und Ressourcen, indem sie über die Faszination für zeitbasierte, transformative Prozesse von Kräften und Materialien einen experimentellen Raum öffnet.



Die Arbeit last light wurde ermöglicht durch die Zusammenarbeit mit der Forschungsallianz PVRe2- Sustainable Photovoltaics.