Galerie Hubert Winter

Joel Fisher
Escape from Source
6. Mai – 18. Juni 2021
Ich war so besessen von dem Problem, daß ich acht Jahre lang unablässig darüber nachgedacht habe – von morgens, wenn ich aufwachte, bis nachts, wenn ich schlafen ging. Das ist eine lange Zeit, um über eine einzige Sache nachzudenken. Diese Odyssee ist nun zu Ende. Mein Denken ist zur Ruhe gekommen.
Die letzten Zeilen. In: Simon Singh, Fermats letzter Satz. Dt. v. K. Fritz. München, dtv, 2000

Galerie Hubert Winter freut sich Escape from Source eine Soloausstellung von Joel Fisher (geboren 1947 in Salem, Ohio; lebt und arbeitet in Vermont) zu präsentieren. Die Ausstellung ist die zweite in einer Serie dreier Ausstellungen, die die Rolle von Materialität im künstlerischen Schaffen und deren skulpturales Potential erkundet.

Joel Fishers künstlerische Praxis ist primär eine des Machens. Machen im Sinne von „Herstellen“ oder „zur Existenz bringen“. Fisher stellt seine Materialien von Grund auf selbst her und eigentlich begründet sich auch nur darin seine Arbeitsweise. Seine Werke sind somit im strengen Sinne minimal – nur selten fügt Fisher zwei oder mehrere Materialien zu einer Arbeit zusammen. Das Material wird im Herstellungsprozess einer fundamentalen Transformation unterzogen, die ersichtlich und funktional ist. Fisher katalysiert dabei das Potential, das dem jeweiligen Material inhärent ist.

Dieses Potential entfaltet sich im Spannungsfeld von Handwerk und Fishers künstlerischem Schaffen als wesentlicher Bestandteil der Form der resultierenden Arbeit. Die nüchternen und einfachen Qualitäten seiner Kunst sind visuell abstrakt und universal. Das Material wird herausgefordert, Handwerk und Fertigkeit treten hinter die Singularität und Widerständigkeit des Materials. Dadurch öffnet sich der Prozess dem Zufall und der Möglichkeit und die konzeptuelle Strenge Fishers künstlerischer Praxis tritt hervor.

Konstellationen großformatiger, handgeschöpfter Papiere, in schlichter Manier direkt an der Wand befestigt, verweisen auf ihren gemeinsamen Ursprung als homogener Papierbrei im Herstellungsprozess und zugleich deren individuelle Form nach dem Schöpfen. Zeichnungen auf kleinformatigen, handgeschöpften Papieren, sogenannte Apographen treten in Relation zu organisch geformten Bronzeskulpturen. „Jeder Apograph enthält zahlreiche Anfänge, die sich später miteinander verknüpfen, sowie eine Vielfalt an Möglichkeiten.“[1] Die Fasern des Filzes, auf dem das frischgeschöpfte Papier trocknet, bilden spontane Inklusionen, die von Fisher am Blatt „entdeckt“ und mit Bleistift oder Farbstift in vergrößertem Maßstab nachgezeichnet werden. In einer Art bildnerischen Zyklus, den Fishers Arbeiten durchlaufen, dienen diese Zeichnungen als Vorlage für seine Skulpturen, die sich durch einen intimen Sinn für menschliche Maßstäbe auszeichnen. Fishers Werke oszillieren als fragile Multiplizitäten entlang visueller Koordinaten und Maßstäbe zwischen Substanz und Akzidenz, Zwei- und Dreidimensionalität, sowie Visualität und Haptik.

Zur Ausstellung erscheint das Buch Revising Chance von Joel Fisher als Band VI der Reihe Carpe Diem.


[1] Joel Fisher, The Apographs. Im Eigenverlag erschienen, S.7.