Galerie Hubert Winter

Annelies Strba
8. September – 14. October 2000
Auf hoher See fragte ich mich oft: Und wenn
Ich das Meer in eine Flasche füllte, ist es dann immer noch
Das Meer? Oder ist es nur eine Flasche trübes Salzwasser?
Blaise Cendrars. Auf allen Meeren (1948). Dt. v. G. Waeckerlin Induni. Basel. Lenos. 1998.

Die Fotografien der Schweizer Künstlerin Annelies Strba ziehen uns durch ihre Selbstverständlichkeit in ihren Bann.
Zu sehen sind ihre Töchter, ihr Sohn, irgendwann der Enkelsohn Samuel-Maria, das Haus und immer wieder die Katzen. Im chaotischen Kinderzimmer zwischen Kleidungsstücken und Matratzenlager wird gespielt, gelebt, geschlafen. Der taxierende Blick in den Spiegel beim Bürsten der langen Haare, der Pater und die Großmutter zu Besuch in der spartanisch möblierten Küche, Sonja mit verschränkten Armen in den ersten eigenen vier Wänden. Linda auf der Wiese inmitten des verblühten Löwenzahn.
Momente, die Jahre dauern, ein Augenzwinkern lang oder in der Stille zwischen zwei unausgesprochenen Gedanken liegen. Es sind nicht Dokumentaraufnahmen von Zeiten oder Orten, sondern es ist das Leben selbst, das nicht erst durch Ausschweifung und Exotik interessant wird, sondern vom Eintauchen in die Menschen bestimmt ist. Nicht das, was wir sehen, sondern was wir ahnen, bestimmt unsere Aufmerksamkeit. Es existiert keine Scheu im Vertrauten, und das zieht auch uns Fremde an.
Es ist der gleichzeitige Blick der Mutter und Künstlerin, der Vertrautheit und Flüchtigkeit des Augenblicks, des Zufälligen zeigt. Es wird nicht konserviert für später, sondern fließt mit der Zeit, mit dem Heranwachsen und Werden.
Bei den Stadtaufnahmen wird ähnlich verfahren. Das Vorbeiziehen der polnischen Wohnblocks im Grau des November-Nebels erzählt von Vereinzelung wie das Mädchen, das in sich gesunken auf der Blumenwiese sitzt. Nicht die Schärfe des "so ist es gewesen" scheinen das Wesentliche, sondern die Temperatur, die Gerüche, die Stimmung wird in den Vordergrund gekehrt.

Impressionistisch mutet Annelies Strbas Fotografie manchmal an. Abwesend, verträumt, in die Ferne schweifend die Gesichter. Spitzwinkelige Häuserfronten im Getummel der japanischen Großstadt verschwimmen, stehen auf wackeligem Boden und werden so herrlich unstatisch im Getöse der Stadt. Wir tauchen ein, sind mitten drin. Zuerst in die Köpfe der schönen Töchter, dann ins Dickicht der Städte.
Der schweifende Blick auf Annelies Strbas Leben mit all seiner Schlichtheit und seiner Schönheit lässt sich in den Fotografien erfahren. Dem eigenen Sein ist Platz gemacht, alle Richtungen bleiben offen, und der Außenstehende darf selbst seine Perspektive wählen. Die Kunst liegt im Offenbaren und Offenlassen. Das Subjektive, das so zeitlos und selbst auflösend agiert. Schwebend, berührend, diffus, sich im Detail verlierend und dadurch das Wesentliche zeigend. Vergangenheit und Gegenwart sind nicht die Gratmesser, die Geschichte verharrt im Moment und der kann dauern, solange er will.

  • Review: artforum, 9/2000 (PDF)