Blaue Linien auf weißem Porzellan sind ein zarter Ariadnefaden, der sich von der Jahrtausende alten chinesischen Kulturgeschichte in die globalisierte Gegenwart zieht und soll zur kontemplativen Erfahrung des Augenblicks leiten. In seiner Arbeit schafft Lei Xue eine sowohl familiäre als auch fremde neue Welt, die durch vielfältige Perspektiven auf die reale Welt und deren kontinuierlicher Betrachtung entsteht. Von zwei sehr unterschiedlichen Kulturen und Traditionen ausgehend entwickelt der gebürtige Chinese und Absolvent der Kunsthochschule Kassel bei Urs Lüthi einen Dialog, der östliche und westliche Wesenheit zu vereinen sucht und auf dem Prinzip eines wechselseitigen Kommentars beruht.
Der von Xue selbst benutzte Ausdruck ‘Kurzschluss’, den wir erleben, wenn Wegwerfprodukte der westlichen Welt in Form zerbeulter Coca-Cola Dosen in feinem Porzellan kathartisch auferstehen - gleich einer wehmütigen Referenz an die chinesische Tradition des Teetrinkens - führt zu einer Reflektion über den Zusammenprall alter und neuer Lebensweisen und dem Versuch einer harmonisierenden Zusammenführung von Eindrücken unterschiedlicher kultureller Herkunft und Prägung. Die Dosen in der Arbeit Teetrinken - wie vom Meer der Zeit angeschwemmter Müll. Sie sind vom Künstler selbst mit Motiven aus der Ming-Dynastie bemalt. In weiteren Porzellanobjekten fügen sich Cartoonfiguren wie Logos der modernen globalisierten Welt oder Lebensweise ein. So sollen sie neu erfahrbar gemacht werden und unsere Identität wie den Umgang mit tradierten Werten in Frage stellen.
Das Verlangen, die komplexen Ursachen einer sich neu formierenden Einheit zu erklären und in markante Aussagen über eine unüberschaubar gewordene Konfrontation von Werten in der Gegenwart zu verwandeln, reizt Lei Xue in seinen neuen Arbeiten zur Form des mittelalterlichen Altars aus. So werden religiöse Motive und Bildmaterial politischer Propaganda belebt, verkörpert durch bekannte Protagonisten amerikanischer (westlicher) Popkultur, kulminierend in Hybridformen wie Bugs Bunny, der ein Samuraikostüm trägt, Dämonen bekämpfend zwischen Wolkentürmen reitet und dem Chaos angriffslustig und selbstsicher entgegentritt. Xue verweist ironisierend auf revolutionäre Träume, die uns zur neuartigen Erkenntnis führen und ganz im Zen-Prinzip durch ihre einfache Wesenheit erkannt werden können.
Die Suche nach dem Wesentlichen liegt diesen Bildern zugrunde, die Fragestellungen aufwerfen die sich dem Sinn des Lebens, dem Essentiellen widmen. So “dehnen die blauen Linien unsere Sorgen in der echten Welt aus. Die Linien gestalten sich zu einem Abgleichpunkt“. Die Auseinandersetzung mit dem Ausgangsmaterial bezeugt die Suche nach Einheit und Einklang in einer schönen neuen Welt: traditionelle chinesische Handarbeit und Technik, die Beschaffenheit der Dinge (wie “Feuchtigkeit und Milde des Porzellans”, “Textur der Holzintarsien” und die Bewegung der Wasserfarbe auf Reispapier) sind essentielle Bedeutungsträger der Arbeiten Lei Xues. Dabei werden Inhalt und Form in ein Spannungsverhältnis gesetzt und fließen ineinander über – sei es in rhythmisch-musikalischen Trickfilmen oder skulpturalen Objekten. Es gilt, das Fremde im Eigenen und das Eigene im Fremden sichtbar zu machen, so dass wir auf unsere “familiäre Wahrnehmung verzichten und unsere Seele direkt erreicht werden kann.”