Die Schatten der Dinge, Bilder, Farben.
In: Ingo Nussbaumer, Block D. Galerie Hubert Winter. Köln 2003.
Luzide, offensichtlich scheinen die farb-räumlichen Strukturen, die Ingo Nussbaumer in seinen Bildern entfaltet. Wohlerwogene Ordnungsgefüge aus farbigen Linien und Bändern, rechteckige Flächen verheißen Übersicht; die sich selbst bestätigende Symmetrie, wesentliche Organisationsform der Arbeiten selbst dort, wo sie gestört wird, verleiht ihnen etwas Unzweifelhaftes, schließt sie zu einem von Anfang an plausiblen, in sich ruhenden Ganzen.
Nahezu spurlos der Farbauftrag, kaum merklich, visuell jedoch wirksam ist die Handarbeit mit dem Pinsel, sie führt zu Abweichungen, lässt das Gemalte atmen. Das Gemalte ist die Farbe, ihr amalgamiert ist die Struktur der Bilder, sie bedingen einander; der Blick kann sie nicht auseinander halten, allein die blinde, zeigende Sprache trennt sie. Die Farben aber brechen (als erste) das Versprechen der Bilder eindeutig und klar zu sein. Angereichert mit dissenten Anteilen, wie um eine Nuance ins noch nicht Vertraute verrückt, irritiert ihre schwer auszumachende Position im Spektrum und das Auge weiß nicht sicher, was es sieht (wenn die in jedes Schauen verwickelten Namen, Identifikationen das Wissen des Sehens sind). Analog zu solcher Farbgewißheit zeigen sich die imaginären Räume dieser Arbeiten als vieldeutige Konstellationen.
Die Farb-Struktur legt dem Auge Staffelungen, ein Davor und Dahinter der Flächen und Streifen nahe, Schatten beglaubigen sie als Dinge im Raum (wie auch das Bild selbst als Gegenstand einen Schatten wirft). Einem Raum aber, der sich nicht als stabil erweist, vielmehr ein veränderliches, diskontinuierliches von augenblicklichen Fokussierungen, der wahrgenommenen Dynamik der Farben abhängiges, also vom Betrachterblick (re)konstruiertes imaginäres Gefüge ist. Die Ordnung der Farb-Struktur wird im Sehen als Folge möglicher Lesarten in ihrer Vieldeutigkeit, ihren Differenzierungen realisiert ohne gleichzeitig als klare Konstellation aus dem Auge verloren zu werden. Was das Bild ist, wird es jeweils und stets von Neuem im Sehen. In seine Aquarellen betreibt Ingo Nussbaumer eine rigorose Disziplinierung dieser Technik, alles Flüssige, Verfließende ist vermieden, und damit alles Zufällige und Unkontrollierte. Die Möglichkeiten mittels hochverdünnter Farbe Transparenz zu erzeugen sind hingegen bis an die Grenzen des Mediums getrieben. Leicht, von aller Materialität entfernt erscheint die Farbe in diesen stets im gleichen Format (31x23cm) gehaltenen Blättern, selbst dort, wo sich mehrere Formen überlagern, sich Farbe verdichtet. Zudem fungiert das Weiß des Papiers als Reflektor des einfallenden Lichts, beleuchtet die durchlässige Farbe von hinten und steigert ihre Leichtigkeit und Lichte.
Die Bildstruktur der Aquarelle ist wie die der Ölbilder bestimmt von Balken, Feldern, Rahmen und Schatten, ihre Transparenz aber macht sie in den Papierarbeiten zu Filtern. Wo sie einander überlagern (und es gibt kaum eine Fläche, Farbe, die unberührt bleibt) modifiziert sich ihre Farbigkeit, ergeben sich weitere Formen, erfährt das zunächst Einfache einen Zuwachs an Komplexität. Auch entsteht eine diffizile, vieldeutige Raumstruktur aus Durchlässen und Öffnungen, Verschlüssen, Blenden, Überlagerungen, Umfassungen. Besonders die verschatteten Partien, (Verdunkelungen, Vertiefungen der Farbe, kein Schwarz aber etwas Schwärzlich-Farbiges) scheinen mal über dem Buntton zu schweben, dann wie in die Farbe eingelassen, könnten noch unter dieser liegen. Auch verweisen die farbigen Schatten auf den Raum außerhalb des Bildes , dort müsste sich befinden, was hier als Schatten sichtbar wird. Dort rahmen reale Schatten das Aquarell, sie entstehen durch eine Montierung, die Ingo Nussbaumer für seine Aquarelle entwickelt hat. Alle Blätter sind wie schwebend in den flachen Raum eines Passepartouts eingelassen, in einen vermittelnden Bereich zwischen realem Umraum, imaginärem Bildraum und dem flachen Bildding, das immer auch greifbares Objekt ist. Es ist umgeben von einer Schattenfuge, einer räumlichen Zone in der die Lichtbedingungen des Betrachterraums mit dem Bild veränderliche Schatten erzeugen. In einigen Fällen hat Nussbaumer den Bereich gefärbt und den Eindruck eines Zwieraums, noch zum gemalten Bild gehörig oder zumindest dem Bild nahe oder schon, bloß Umgebung?, noch verstärkt, der als Zone eigenen Rechts (und eigener Fragen) in den Blick, ins Spiel gerät.
Zufällig entsteht nichts, alles verdanken sich minutiöser Planung, akribischem Arbeiten. Allmählich kommen diese Bilder zustande, aus dem Übereinanderlegen dünnster Malschichten ergibt sich nach und nach durch Überblendungen und Interaktion differenter Töne die vom Künstler angestrebte Farbnuance. Entspricht diese handwerkliche Ausführung des Bildes ganz traditioneller Lasurmalerei (und wird von Nussbaumer in vergleichbarer Weise auch für seine größeren mit Ölfarben auf Holz ausgeführten Arbeiten verwendet), so ist seine Bildentwicklung ganz an die Gegenwart gebunden. Ausgehend von einer präzisen Bildidee setzt der Künstler mit Hilfe handelsüblicher Grafikprogramme diese erste mentale Idee in eine allein als immaterielles, technisches Licht- und Bildschirmbild existierende Skizze um, sucht dem imaginierten Bild so nahe wie möglich zu kommen. In einem Prozeß der Überarbeitung und Prüfung optimiert er dieses Zwischenresultat, bis ein haltbarer, überzeugender Bildentwurf gefunden ist. Die Ausführung der Malerei orientiert sich ausschließlich an dem auf dem Monitor sichtbaren digitale Lichtpunktbild. Für die dort gesehene Intensität der Farben, ihre spezifische Brillanz sucht Nussbaumer im anderen, altehrwürdigen Medium der Malerei eine Entsprechung; ein verdeckter Paragone der denkbar weit voneinander entfernten Bilderzeugungsmöglichkeiten. - Vor dem Erfahrungshorizont neuer, vollständig technisch erzeugter Farbangebote, dem eigentümlich künstlichen digitalen Kolorit betreibt der Künstler seine Auseinandersetzung mit Farbe. Sein genuines Farb-Erkundungs-, Entfaltungs- und Ausdifferenzierungsmedium aber bleibt das gemalte Bild.
Die als zusammenhängende Folge konzipierte, im Sommer 2003 entstandene Gruppe der neun Aquarelle D (genaue Bezeichnung noch einfügen), eine der selteneren mehrteiligen Papierarbeiten des Künstlers, iniziiert eine doppelte Bewegung des Sehens. Einerseits konzentriert sich das Auge auf das einzelne Blatt, andererseits greift der Blick weiter aus, schweift hin und her zwischen den Mitgliedern dieser Bildfamilie. Eine Ursache für solch bewegtes, erkundetes Schauen liegt in der Gleichrangigkeit aller Bildteile. Die Arbeiten Ingo Nussbaumers kennen keine Aufmerksamkeitsmitte, auch wenn Zentrum und Peripherie, Rahmung und Gerahmtes, nicht zuletzt dank der sich symmetrisch um die vertikale wie horizontale Bildmittelachse entfaltenden Bildstruktur, wesentliche Merkmale gerade dieser Aquarelle sind. Der gleichmäßigen Aufladung der Bildfläche entspricht ein nomadisierendes Sehen, eine permanente, gleitende Bewegung , deren Dynamik variiert und wesentlich von der Bildstruktur beeinflusst wird. Dieses Zirkulieren führt unwillkürlich weiter zu einem Hin- und Hersehen, einem Vergleichen und In-Beziehung-Setzen zwischen den Blättern. Dabei erkundet das Auge mögliche Grade der Verwandtschaft, der Familienähnlichkeit, ermisst Nähe und Ferne der Arbeiten zueinander. Farbparallelitäten, Strukturgleichheiten, Verwandlungen und Abwandlungen einer Anordnung (etwa durch Vergrößerung eines Feldes, Teilungen eines anderen, Hinzufügung neuer Elemente oder Elimination zuvor verwendeter Strukturteile) setzen die neun Blätter in ein beziehungsreiches Verhältnis zueinander. Ein Movens für dieses Hin- und Her des explorativen Blicks ist nicht zuletzt der Versuch im Geflecht möglicher Verbindungen zwischen den Arbeiten eine Systematik zu erkennen und der (zu keinem befriedigenden Ergebnis führende) Wunsch die allen neun Arbeiten vermeintlich gemeinsamen Generierungsregeln zu entschlüsseln.
Potentiell sind alle Blätter dieser Reihe aufeinander bezogen. Daher ist es konsequent ihre Anordnung offen zu lassen, einzige Regel für ihre Hängung ist die Wahrung des Zusammenhangs der neun Aquarelle. Ihr jeweiliges, nicht notwendig vom Künstler entwickeltes, Arrangement richtet sich nach den Möglichkeiten des Raums, den Interessen dessen, der sie platziert. Selbst asymmetrische oder die Geschlossenheit des Blocks auflösende Anordnungen sind denkbar, ein einfaches lineares Nacheinander wie auch die isolierende Hervorhebung einer oder mehrerer Arbeiten neben der geschlossen gehängten Mehrzahl der Bilder sind mögliche Varianten. Ebenso besteht keine verbindliche Abfolge der Arbeiten, sie kann immer wieder neu (für den Augenblick, auf Dauer) gefunden werden, sie (zumindest imaginierend) zu verändern, entspricht der Beweglichkeit dieser Arbeit und heißt sich ihr gegenüber aktiv zu verhalten. Das Sehen begleitet ein (handgreifliches) Tun, motiviert vom Bedürfnis durch andere Nachbarschaften, Konstellationen Neues, bislang Ungesehenes visibel zu machen.
So, im Zusammenhang gesehen differenziert sich die Farbigkeit. Sichtbar werden Verschiebungen um eine Nuance, wo der erste Blick eine Farbwiederholung zu sehen glaubte. Wahrnehmbar (mitunter ist es eher eine Ahnung, ein Spüren als ein Sehen) werden minimale Veränderungen ihrer Temperatur oder Dichte, eine Rückung in eine andere Farbe hinein, aus der Farbvertrautheit heraus und damit einhergehende Veränderungen ihres räumlichen Verhaltens, ihrer ganzen Erscheinung. Nicht isoliert, sondern im Kontext anderer Farbe, in Relation zu ihren Umgebungen (vorrangig innerhalb des Bildes, aber auch in Beziehung zu ähnlichen innerhalb der ganzen Gruppe) wird Farbe realisiert, ist sie verortet in einem Gefüge wechselseitiger Beeinflussungen. So zeigt sich Farbe als außerordentlich diffiziler, kaum vollständig überschaubarer Gegenstand dieser Arbeit; erweist sich Farbe in der Fülle ihrer Erscheinungen als Angebot und nie endendes Excitement für ein entwicklungs- und unterscheidungsbereites Sehen.