Galerie Hubert Winter

Anmerk­ungen zu meiner Skulptur
Fred Sandback — In: Fred Sandback. Sculpture 1966-1986, Kunsthalle Mannheim. 1986

1966 beschäftigte ich mich mit einer Art Assemblage aus industriellen Zufallsmaterialien, die ich zu Serien miteinander verband. Die spannungslose Beziehung der einzelnen Teile zueinander besaß nicht viel Kraft und Überzeugung. Auf meine Klagen über die Skulptur im allgemeinen und die Widersprüchlichkeit meiner im besonderen, sagte George Sugarman dem Sinne nach folgendes: "Also, wenn du von all den Einzelteilen die Nase so voll hast, warum nicht einfach mit einem Knäuel Bindfaden eine Linie ziehen und fertig?"
Die erste Skulptur, die ich aus einem Stück Bindfaden und etwas Draht herstellte, war die Kontur eines rechteckigen Körpers - 2" x 4" (etwa 5 x 10 cm) -, der auf dem Fußboden lag. Es war ein zufälliger Schritt, aber er schien mir eine Menge Möglichkeiten zu eröffnen. Ich konnte einen bestimmten Raum oder Körper in seiner ganzen Stofflichkeit faßlich machen, ohne ihn einzunehmen oder zu verdecken. Ich glaube, was mich zunächst daran faszinierte, war, wie mir auf diese Weise ermöglicht wurde, mit etwas zu spielen, was gleichzeitig vorhanden und nicht vorhanden war. Das Ding selbst - 2" x 4" - war so körperlich wie nur möglich - ein Körper aus Luft und Licht über der Oberfläche des Fußbodens. Doch meine Gestaltung dieses Körpers, seine Form und Abmessung hatten etwas Anekdotisches an sich nach der Art von "erst kommt ein Berg, dann kommt kein Berg, dann kommt ein...", aber umgekehrt.
Ich hatte an dem Punkt keine klar umrissenen Ziele. Aber ich wollte wirklich Plastiken machen - und ich nehme an, das ist interessant -; ich bezog überhaupt nicht viele meiner Anregungen aus der amerikanischen Malerei der 50er Jahre, oder zumindest nicht annähernd so viele wie aus der älteren Bildhauerei. Ich brachte einen Sommer - mit mäßigem Erfolg - damit zu, jeden Tag Michelangelos Sklaven zu zeichnen.
Als ich mich an die ersten Faden-Arbeiten machte, ging's, rückschauend betrachtet, nicht so sehr darum, daß ich Skulpturen ohne eine Komposition von Teilen oder Skulpturen ohne positiven oder negativen Raum machen wollte, sondern ich wollte einfach Skulpturen machen, und diese anderen Dinge liefen mir anscheinend einfach über den Weg. Ich hatte aber von Anfang an eine klare Grundeinstellung, und das war der Wunsch, Skulpturen machen zu könnnen, die kein Inneres haben.
Ich habe das hartnäckige Gefühl, daß alle meine Skulpturen Teil einer bleibenden Einstellung und Beziehung zu den Dingen sind. Das heißt, manchmal sehe ich verschiedene Skulpturen nicht so sehr als einzelne Objekte an, sondern vielmehr als Beispiele für ein generelles Bedürfnis, mich in so etwas wie einer sich konstituierenden substantiellen Beziehung zu meiner Umwelt zu befinden. Die Skulpturen wenden sich an den speziellen Raum und die spezielle Zeit, worin sie sich befinden, aber es kann sein, daß sich der vollkommenere Zustand, nach dem ich suche, erst mit der Zeit und allmählich herausbildet - mit den einzelnen Skulpturen als seinen wesentlichen Elementen.
Ich bin nicht der Meinung, daß, wenn eine Arbeit beendet ist, dann die Sache ausgestanden ist. Ich arbeite mit älteren Anordnungen und Formaten weiter und erhalte oft das, was ich möchte, erst allmählich und nach vielen Umarbeitungen. Obwohl dieselbe Grundstruktur vielleicht viele Male benutzt wird, erscheint sie jedesmal in einem neuen Licht. Maßstab des jeweiligen Gelingens einer Arbeit ist nicht, daß unbedingt eine neue Struktur dabei zutage tritt, sondern daß eine vertraute Struktur in ihrer gegenwärtigen Erscheinung eine besondere Schwingung oder Aktualität gewinnt. Das scheint am besten zu funktionieren, wenn das Grundkonzept so vollkommen verinnerlicht und als selbstverständlich vorausgesetzt wird, daß es nicht mehr viel von meinem aktiven Interesse für sich verlangt. Wie zum Beispiel die U - förmigen, freistehenden Plastiken, an denen ich 1973 in Bregenz zu arbeiten begann. Ich benutze diese Form noch immer. Sie ist mehr wie ein Werkzeug oder eine musikalische Note, die ich herumschieben kann, bis ich geschafft habe, was ich will. Es gibt eine Menge Geschiebe und Geziehe in diesen Stücken.
Im übrigen war das Nachdenken über die Art des Raums oder eines Raums - und meine Anwesenheit daneben oder darin - und das Nachdenken über die Art der Interaktion zwischen beidem interessant. Und an dem Punkt war das Denken vielleicht interessanter als das Machen, obwohl es natürlich letzteres war, das mein Interesse wachgehalten hat.
Die meisten meiner Arbeiten werden mittlerweile an einem und für einen bestimmten Ort ausgeführt. Sie wurden immer mit zumindest einer vagen Vorstellung eines Ortes konzipiert, aber die Skulpturen jetzt sind an eine Stelle gebunden. Das heißt nicht, daß ich eine Skulptur nicht an einem neuen Standort wiederholen würde, aber sie wird dann grundsätzlich ein ganz neues Paar Schuhe. Es gibt Dinge, die ich tun möchte, aber solange sie keinen bestimmten Ort haben, bleiben sie notwendigerweise vage und unbestimmt. Das Werk umfaßt 'etwa' jede beliebige Anzahl an Dingen, aber sobald es sich 'an einem Ort befindet', kommt es sofort mit auf die Liste.
Um 1968 prägten ein Freund und ich den Begriff 'prosaischer Raum' (pedestrian space), der den Arbeiten angemessen zu sein schien, die wir damals machten. Es was gewiß nicht der Bildraum, nach dem wir auf der Suche waren, zum größten Teil auch nicht der Skulpturenraum. Der prosaische Raum war nüchtern, ausgewogen und alltäglich. Die Idee war, die Arbeiten genau dort, neben allen anderen Dingen der Welt, aufzustellen, nicht auf einem räumlichen Podest. Der Begriff schloß auch die Idee der Nützlichkeit ein -, daß eine Skulptur dazu da sei, aktiv in Anspruch genommen zu werden, und er enthielt den utopischen Hoffnungsschimmer, daß Kunst und Leben einst glücklich zusammenleben.
Gerade Linien werden gern als puristisch und geometrisch aufgefaßt, und ich bin auf ewig davor gewarnt, "locker zu werden", wenn mir etwa Spoerri große Schüsseln Linsensuppe verordnet, um mich von meinem puritanischen Fanatismus zu heilen. Es ist eine Folge des Wunsches, den Körper der Skulptur ohne seine opake Masse zu haben, warum ich auf die Linien gekommen bin. Sie sind indes mehr oder weniger simple Tatsachen und kein Beispiel für Geometrie oder irgendeine andere umfassendere Ordnung - schlicht das, was die Hand macht.
Die Linie ist eine Möglichkeit, die Qualität oder das Timbre einer Situation zu vermitteln, und sie besitzt eine Struktur, die klar, abstrakt und mehr oder weniger denkbar ist, aber es ist die Tonalität oder die, wenn man so will, Ganzheit einer Situation, zu der ich zu gelangen versuche. Meine Eingriffe sind gewöhnlich gering, vielleicht weil es so scheint, als sei jener erste Moment, in dem die Dinge sich zu verbinden beginnen, das Interessante.

P.S.1
Im Sommer 1977 hatte ich einen Monat lang die Gelegenheit, im P.S.1 in Long Island City eine Fläche von etwa 10.000 Quadratfuß (etwa 930 qm) als Atelier zu benutzen. Ich hatte in den Jahren zuvor das Bedürfnis nach immer größeren und unhandlicheren Formaten entwickelt, und das hatte unvermeidlich dazu geführt, daß ich in meinem Atelier immer nur jeweils eine Arbeit aufbauen konnte. Auch Austellungen bestanden oft nur aus einem Werk. Aus diesem Grund war es für mich schwierig, meine Erfahrungen miteinander in eine Wechselbeziehung zu bringen, und für einen Betrachter war es fast unmöglich, genug zu sehen, um zu begreifen, was ich wollte.
Diese sieben großen Räume zum Arbeiten zu haben, war eine kleine Offenbarung, insofern als ich zum erstenmal sehen konnte, wie diese Stücke sich zueinander verhielten, und ich in der Lage war, simultan an ihnen zu arbeiten. Es war eine Gelegenheit, einigen Dingen, an denen ich jeweils einzeln herumgeknabbert hatte, eine endgültige Form zu geben, vor allem aber eine Gelegenheit, an ein und demselben Ort viele Stücke fertigzustellen. Eine normale Folge meiner Arbeit ist, daß nicht sehr vieles für sehr lange an irgendeinem Ort existieren kann.
Das Museum von Winchendon, das 1978 unter der engagierten Förderung der Dia Art Foundation mit seiner Renovierung begann, bot meinem Gefühl, daß die Dinge einfach zu immateriell seien, ein Gegenmittel an. Ich hatte zwölf Jahre lang an einem Werk gebaut, das fast durchweg nicht mehr existierte. Ich stellte kein Produkt her, das einfach erworben oder aufgehoben werden konnte, und ich empfand das starke Bedürfnis nach einem Gefühl materieller Kontinuität und Dauer. Die Vorstellung, sein eigenes Museum zu haben, ist schrullig und komisch, aber ich war sehr wohl der Meinung, daß das Werk irgendwo in einer einigermaßen dichten und dauerhaften Anordnung existieren sollte, außerhalb der Drei-Wochen-Gastspiele, die das ungefähre Höchstmaß in Galerien sind.
Diese Dauerhaftigkeit, die mit der Eröffnung des Museums 1981 geschaffen war, stellte tatsächlich das notwendige Gefühl her, einige Festigkeit zu besitzen, und den Raum und die Werke zu entwerfen war ein großes Vergnügen für mich. Aber es war überraschend zu sehen, wie schnell das alles zu etwas völlig Eigenständigem wurde, das nicht unbedingt mehr mit mir zusammenhing. Als das Werk getan war, war es fertig, wogegen ich das bleibende Bedürfnis hatte, diese Dauerhaftigkeit zu zerstören, die ich mir gewünscht hatte. Vielleicht habe ich tatsächlich mein Dasein zum Wanderleben gemacht.