Galerie Hubert Winter

Jean-Luc Vilmouth
8. März – 19. April 2024

Wir freuen uns, die vierte Einzelausstellung von Jean-Luc Vilmouth (1952–2015) in der Galerie zu präsentieren.

Fasziniert von anderen Arten, die Welt zu betrachten und anderen Philosophien, steht für Jean-Luc Vilmouth das Reisen im Zentrum seiner Praxis und seines Lebens. Seine Aufenthalte in Asien, insbesondere in Japan, Nordamerika oder dem Nahen Osten, gleichen eher anthropologischen Expeditionen als romantischen oder mystischen Streifzügen. „Grundsätzlich gehe ich immer von bereits Existierendem aus. Ich benötige einen Ausgangspunkt. Es ist dieser direkte Kontakt mit der Realität, der mir hilft, weiterzukommen und Fortschritte zu machen“, so Vilmouth 1990.

Einige Jahre später ist es die Begegnung mit dem Amazonas-Regenwald, die Jean-Luc Vilmouths Realität nachdrücklich verändert. 1995 und 1997 unternimmt er zwei lange Fahrten auf dem Orinoco in Venezuela und trifft dort auf menschliches, tierisches und pflanzliches Leben. Er erfährt, was es bedeutet mit einer Biosphäre und was ihr innewohnt konfrontiert zu sein. Das genaue Hinhören in dieser Umgebung sowie die aufmerksame Beobachtung der Situationen vertiefen seine Erfahrung, als würde er sich ständig fragen: Was bedeutet „begegnen“, und was lernt man aus der Begegnung?

Geleitet von den Erzählungen von Personen, die vor Ort gelebt oder geforscht haben, wie dem Ethnologen Jacques Lizot, taucht Jean-Luc Vilmouth in Yanomami- und Yekuana-Gemeinschaften ein und wird mit der harten Realität eines der unwirtlichsten äquatorialen Klimas konfrontiert. Er entdeckt neue Perspektiven in Bezug auf Wohnen, Tausch, Rituale, Dispute oder Farben. [1] Der Kultur- und Sinnesschock ist so groß, dass es für den Künstler von entscheidender Bedeutung ist, diesen angemessen wiederzugeben. Wie soll man also die Erfahrung einer anderen Realität wiedergeben, ohne sie zu objektivieren, zu romantisieren oder ungeschickt zu politisieren? Wie kann man die Öffentlichkeit für die Zerstörung des Amazonasgebiets und den allgemeinen Zerfall einer ethnischen Gruppe sensibilisieren und gleichzeitig vermeiden, sozialen Gruppen „eine Stimme zu geben“, d.h. nicht naiv und abgehoben an ihrer Stelle zu sprechen?

Jean-Luc Vilmouth arbeitet mit Verschiebungen. Er konzentriert sich dabei auf die Transposition von räumlichen Erfahrungen und entfaltet so konkrete Geschichten. In From the Amazon (1996) begegnet man beispielsweise Helena Valéro: Man muss sich nur die Zeit nehmen, sich in die Hängematte zu legen und ihre Erzählung zu lesen. Die Geschichte interessiert Jean-Luc Vilmouth besonders. Im Alter von 12 Jahren wurde sie von den Yanomami gefangen genommen und verbrachte ihr Leben zwischen zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten; der westlichen und der indigenen, und entwickelte so eine einzigartige Sicht auf die Welt.

In From the Amazon to Vienna (1996) ist die Verschiebung eine andere: In den Westen verlagert, wird die Szene einer Frau, die einem Affen die Brust gibt, zur absurden Dressur eines Haustieres. Ebenso verwandeln sich die zum Schutz gegen Insekten notwendigen Hüte – um im dichten Regenwald zu überleben – in Pseudo-Design-Lampen. Für Jean-Luc Vilmouth scheint es relevanter, eine Erfahrung in den Raum zu übersetzen, als einfach Bilder zu präsentieren. Videos und Fotografien reichen seiner
Ansicht nach nicht aus, um von den Erfahrungen im Dschungel zu berichten. Dokumentarisch, erzählend oder einfach wörtlich, Bilder legen immer einen Interpretationsfilter und eine Position für den Betrachter fest. So ist Jungle Science 1 als ein Film ohne Bilder konzipiert. Bestehend aus Sound, Licht und Dampf ermöglicht die Umgebung dem aktiven Publikum eine immersive Erfahrung.

Diese Werke sind Teil einer größeren Werkserie über unsere Beziehungen zur Umwelt. Zum Beispiel besteht eine seiner ersten Aktionen im Jahr 1975, From Outside to Inside, darin, das Laub von den Straßen in sein Atelier zu kehren. Mit besonderer Sorgfalt für das verwelkte Material ist das Leeren des öffentlichen Raums und das Füllen eines anderen eine bescheidene Aktion, die viel auszudrücken vermag: Sie verändert den Status der Elemente, indem sie sie in den Mittelpunkt rückt. Die Aktion ist die einfache Ausführung, die notwendig ist, damit eine neue Situation entsteht. Ohne neue Objekte hinzuzufügen, komponiert Jean-Luc Vilmouth gemeinsam mit der Umgebung. [2] Ebenso in Growth (1991), wo er verschiedene Dimensionen aufzeigt: Lebende Pflanzen überlagern sich mit ihrem fotografischen Abbild, einer Momentaufnahme. Schließlich betont die letzte Serie Season Science (2015) die Bedeutung der genauen Beobachtung von Pflanzen, als Ausgangspunkt einer Zeichnung, wie die Spuren der Zeit auf dem Stumpf eines Baumes oder die Welle, die sich auf der Oberfläche ausbreitet, wenn ein Stein ins Wasser fällt.

„Was mich am meisten interessiert, ist der Mensch und seine Beziehung zur Welt, zu Objekten. Wenn man das annimmt, existiert eine Beziehung zum Unterteller, zum Tisch, zum Löffel, zum Mund, usw... Dinge existieren nur, sofern sie in Beziehung zu ihrer Umwelt stehen, zu dem, was sie umgibt...“, Jean-Luc Vilmouth, 1990.

— Marie Brines

[1] Jean-Luc Vilmouth, « Jungle perdue » in Purple Prose, number 10, winter 1996, S. 29-33.
[2] Die Aktion erinnert an Experimente, die zehn Jahre zuvor von Vertreter:innen der Land Art wie Nancy Holt, Robert Smithson oder Michael Heizer durchgeführt wurden, aber auch an die Arbeiten der Engländer Richard Long und Hamish Fulton, die Ende 1970 und Anfang 1980 in der Londoner Szene präsent waren und von der Lisson Gallery unterstützt wurden, mit der Jean-Luc Vilmouth ab Juni 1979 zusammenarbeitete.