Galerie Hubert Winter

Lei Xue
7. December – 28. January 2006
"Wie beenden Sie das Buch?" fragte er.
"Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht."
"Im Augenblick hätten Sie doch eine glänzende Gelegenheit, darüber nachzudenken."
"Nun ..." sagte ich, machte meine Flügel startbereit und strich mir das neue Haar aus den Augen.
"Vielleicht wäre es das beste, einfach aus ihm heraus in den Himmel zu fliegen." Nämlich so.
Die letzten Zeilen. In: Kenneth Patchen, Erinnerungen eines schüchternen Pornographen. Dt. v. K. Behrens. Wiesbaden, Limes, 1964.

Lei Xue, geb.1974 in Quigdao, China, studierte von 1992-1996 Ölmalerei an der Kunsthochschule Shandong.
Von 1999-2004 Studium an der Kunsthochschule Kassel, Klasse Haug und Urs Lüthi,
Meisterschüler bei Urs Lüthi.

Zwischen Ming und Coca-Cola

Der beste Weg, um zur Wesenheit des Verstandes zu gelangen, ist gleichzeitig Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu beobachten. Um zur Zukunft, die ungewiss ist, zu gelangen, bedeutet das, die klare Vergangenheit und die noch nicht so klare Gegenwart zu analysieren. Im Laufe der Zeit ist mein Herz mit der sich ergebenden diskrepanten Einheit ausgestattet. Auf meinem aktuellen Kunstweg gewöhne ich mich daran, im Sinne der mir gut bekannten chinesischen Poesie und der Zenbewegung zu denken und zu handeln.
Für mich ist Poesie mein künstlerisches Denksystem, während Zen ein Aufmaß meiner eigenen Arbeitstiefen und Ausdruckfähigkeiten ist.
Poesie und Zen dringen wie ein Weg in die Gedanken ein, so wie die Chinesen das Universum wahrnehmen. Die Bewusstheit von Poesie perforiert jahrtausendalte chinesische Kulturgeschichte. In der chinesischen Vergangenheit ist das Aufmaß persönlicher Fähigkeiten mit dem Ausmaß zur Wahrnehmung und Beherrschung der Poesie verbunden. Ein guter Dichter konnte Beamter werden. Was ist Poesie? 'Wundersame Gegend am Morgen, schroff fallen Felsen zu Tal, Nebel ziert den tiefen Grund. Einsame Kiefern klammern sich an urigem Felsgestein. Sacht nur weht der Wind und lieblich singt der Pirol.' Jedes Wort ist sehr real und einfach, aber aus der Zusammenstellung dieser realen Bilder entsteht eine unausdrückbare künstliche Konzeption. In der modernen Kunst, bringen die gute Künstler mit ihren Arbeiten die Betrachter mit einfachen Gebilden und Materialien in sprachlose Bereiche und Atmosphäre. Überall gibt es reale Gebilde mit einheitlicher Atmosphäre. In der Technik ist die Suche nach einem passenden Wort für Poesie wie die Auswahl eines künstlich geschaffenen Gebildes. Diese Systeme lassen sich in meiner eigenen künstlerischen Arbeit in poetischer Weise zum Denken nutzen, um eigene Gedanken mit einfachen Formen auszudrücken und das Gedankengut in eine poetisch sprachlose Atomsphäre zu bringen.

Außerdem bedeutet Zen für mich so etwas wie fantastisch. Es ist eine ortsgebundene Philosophie, nachdem der Buddhismus in China heimisch wurde. Die menschlich-immanente Denkweise wird aufgehoben zugunsten des weiter reichenden und unabhängigeren Denkens der Philosophie, um durch die Oberfläche hindurch die Wesenheit zu erkennen. Es ist ähnlich wie bei Arthur Schopenhauer, der sagt, dass 'der Verstand größer als die Vernunft' ist. Es ist mein Maßstab für meine eigene Arbeitstiefe in meinem künstlerischen Denken. Es gibt keine gute künstlerische Arbeit, die nicht durch die Oberfläche hindurch in die Wesenheit und mit ihr in die künstlerische Denkenstiefe eindringt. Durch dieses Eindringen entsteht für mich eine Wiedererscheinung in einfachen künstlichen Formen und Gebilden. So lässt mich Zen an der Erkenntnis des Wesentlichen profitieren. Ein einfaches Beispiel für denZengedanken ist Welle, Fluss und Meer. Sie sind nur die Wahrnehmung, Wasser ist ihre eigentlich Wesenheit. 'Die Erschütterungsfähigkeit einer guten künstlerischen Arbeit ist mit einfachen Gebilden zum sprachlosen tiefen Verstand geworden.'
So nennen jedenfalls die Chinesen Zen.

Bei der 50ten Biennale in Venedig hat Michal Rovner die aus Menschen bestehenden DNA gezeigt. Seine Arbeit lässt mich eine ganz menschliche Aktion fühlen. Dieser sprachlose Reiz ist Zen im chinesischen Sinne.

In meinen Arbeiten habe ich versucht, mit unterschiedlichen Materialien und Formen meine dahinter stehende Ideologie aufzuzeigen. Die Themen Ming und Coca Cola stammen aus diesen Überlegungen. Mit handbemaltem blau-weißem Porzellan auf einer verbrauchten Cola- Dose habe ich Material und Form zusammengebracht. So präsentiert meine Arbeit das Denken über das menschliche Bedürfnis Trinkenunter Einbeziehung der althergebrachten Mingbeziehung in der gegenwärtigen Cola- Zeit. Dabei wird sehr feines handbemaltes Porzellan angehäuft, so wie gestrandeter Müll auf dem Boden. Den Hintergrund bilden zwei Videos, auf denen ich Tee in unserer schnell bewegten modernen Umgebung mit großen Genuss trinke.
In meinen Schweizer Landschaften äußere ich meine Gefühle zu schneebedeckten Alpenlandschaften mit Bewegungen aus unterschiedlichen Farben und Farbschichten. Lediglich mit der Andeutung dieser Farben und Farbschichten und ihrer förmlichen Bewegung entsteht ein Abriss von Wasser, Schnee und Steinen, reflektiert in der Natur. Andererseits stehen natürliche Landschaften für mich als Symbole, damit ich das Erreichte mit chinesischem Hintergrund tief in meinem Herzen ausdrücken kann. So ist für mich der Ausdruck auf der Leinwand nicht so wichtig.
Was mir mehr bedeutet ist der Ausdruck meines eigenen Gefühls.

Lei Xue